Konstruktiv auf kritisches Feedback reagieren: So geht's.
- mail40697
- 15. Juni 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Okt. 2023
Wenn andere dich kritisieren und dir Vorwürfe machen: Was möchtest du am liebsten machen?
Davonlaufen, dich verteidigen, dich rechtfertigen, die andere Person kritisieren? Das wären alles natürliche Impulse. Wenn du diesen ersten Impulsen nachgibst, verpasst du die erste Chance, um zu gegenseitigem Verständnis, Verbindung und zur Lösung eines möglichen Konfliktes beizutragen.

Hinter Wut und Ärger stehen andere Gefühle
Wenn wir uns hilflos fühlen, uns Sorgen machen oder wir Angst haben, dann halten wir das fast nicht aus. Und um mit diesen unangenehmen Gefühlen fertig zu werden, verpacken wir alles mit einem Schutz aus Aggression und Wut. Wir sind empört, werden laut und fordernd. Damit versuchen wir, uns vor weiteren Verletzungen zu schützen. Wut ist deshalb ein sogenanntes Sekundärgefühl: Es entsteht als Reaktion auf ein anderes, ursprüngliches Gefühl*.
Mit der Wut verlieren wir den Fokus auf das Wichtigste
Das Problem dabei ist, dass wir dabei den Fokus vom eigentlichen Problem weg bringen, nämlich von der Ursache unserer unangenehmen Gefühle.
Stell dir vor, du hast mit jemandem eine Abmachung getroffen und diese Person hat sich bereits dreimal nicht daran gehalten. Deine ersten Gefühle werden etwa solche sein: Du bist irritiert, ratlos, frustriert und du fühlst dich hilflos und vielleicht auch traurig, weil dir Verlässlichkeit und Vertrauen wichtig sind und vielleicht weil du verstehen möchtest, wie es dazu kommt, dass die andere Person sich so verhält. Damit haben wir den eigentlichen Grund deiner unangenehmen Gefühle gefunden: Das Verhalten der anderen Person (sich nicht an die Abmachung halten), führt dazu, dass die Bedürfnisse nach Verlässlichkeit, Vertrauen und Verstehen nicht erfüllt werden und das wiederum löst die unangenehmen Gefühle aus. Und das ist es, was eigentlich kommuniziert werden sollte.
Wut setzt Energie frei - und transportiert Vorwürfe und Kritik
Weil aber diese Gefühle von Frustration und insbesondere die Ratlosigkeit und Hilflosigkeit so unangenehm sind, wirst du wütend. Die Wut gibt dir die Energie und Motivation, die andere Person zu konfrontieren. Nun sagst du ihr wütend, was du von ihrem Verhalten hältst. Vielleicht sagst du zum Beispiel: «Auf dich kann man sich einfach nicht verlassen. Wie stellst du dir denn das eigentlich vor? Bin ich dir etwa egal? Meinst du, du brauchst dich nicht an Abmachungen zu halten?»
Deine Aussage ist sinngemäss in etwa diese: «Du bist nicht in Ordnung, wie du bist. Du bist ein unmöglicher Mensch. Du hältst dich wohl für etwas Besseres.»
Die andere Person hört berechtigterweise Vorwürfe. Und was tut sie? Sie wird sehr wahrscheinlich entweder erstarren, das Gespräch abbrechen oder sich verteidigen und rechtfertigen. Falls das Gespräch weiter geht, dreht es sich nun um die Frage: Wer hat recht? War es richtig, sich nicht an die Abmachung zu halten? War die Art und Weise der Rückmeldung richtig? Usw. Diese Diskussion kann kaum noch ein gutes Ende nehmen. Sobald wir darüber streiten, wer Recht hat, stehen die Chancen auf Einigung schlecht. (Übrigens: In Sendungen wie z.B. der Arena im Schweizer Fernsehen geht es jeweils genau um die Frage, wer recht hat. Gerade deshalb handelt es sich nicht um konstruktive Gespräche und viele Teilnehmende stören sich vor allem über die Art und Weise, wie miteinander gesprochen wird.)
Wo sind denn die Bedürfnisse geblieben, um die es dir eigentlich gegangen ist? Sie sind dir nicht bewusst geworden und sie werden es vermutlich auch im Verlauf des Streits nicht. Dabei wäre es genau das, was die andere Person von dir hören sollte: Dass du frustriert und ratlos bist, weil dir Verlässlichkeit wichtig ist.
Wie sieht eine konstruktive Reaktion auf Vorwürfe und Kritik aus?
Als erstes hältst du inne und sagst dir: «Stopp. Wenn Vorwürfe und Kritik kommen, stehen dahinter wichtige Bedürfnisse und Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit oder Frustration.» Dieser erste Schritt ist häufig der schwierigste, weil wir in der Regel schnell und instinktiv reagieren.
Als zweites fragst du dich, wie sich die Person fühlen könnte (wütend, genervt, frustriert, ratlos etc.) und um welche Bedürfnisse es ihr gehen könnte und bietest ihr diese fragend an. Du sagst: «Bist du frustriert und genervt, weil du Verlässlichkeit brauchst?» Du kannst zur Hilfe eine Liste mit Bedürfnissen und eine Liste mit Gefühlen hier herunterladen. Das machst du, bist du die Bedürfnisse der anderen Person herausgefunden hast. Anschliessend kannst du ihr sagen, dass dir diese Bedürfnisse auch wichtig sind. (Falls du wissen möchtest, wieso ich mir sicher bin, dass dir diese Bedürfnisse auch wichtig sind, findest du in diesem Artikel eine Antwort dazu: Zuerst die Bedürfnisse, dann die Strategien).
Wenn dir das gelungen ist, wirst du merken, wie sich dein Gegenüber entspannt. Vielleicht kannst du der anderen Person nun deine Sicht und deine Bedürfnisse im Zusammenhang mit dieser Situation erläutern. Spätestens jetzt stehen die Chancen gut, gemeinsam Lösungen suchen und finden zu können.
Möchtest du lernen, wie du deine Reaktionen auf andere noch besser steuern kannst? Dann sind vielleicht meine Seminare etwas für dich oder du meldest dich für ein Coaching.
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* Novaco, R. W. (1975). Anger control: The development and evaluation of an experimental treatment. Lexington Books.
So einfach ist/wäre es.....wenn da nicht die "instinktiven Impulse" bzw. sekundären Gefühle wären. Und hinzu kommt - wie es so schön heisst: Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis grösser, als in der Theorie 😉. Achtsamkeit, Bewusstsein und Selbstreflexion sind also gefragt und wie du sagst, David: üben, üben, üben. DANKE für diesen anregenden und wertvollen Beitrag. Sommerliche Grüsse, Stephan Flückiger, Schulleiter und Spielosoph