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Empathisch-sein kann man lernen und trainieren

Wieso sind manche Menschen sehr empathisch und andere weniger? Ist es Zufall, Genetik oder lernt man es als Kind?

Die grösste Rolle spielen die primären Beziehungspersonen unserer Kindheit. So wie prosoziales Verhalten oder die Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, wird auch Empathie in der Kindheit und Jugend erlernt. Ein sehr geringer Anteil fällt auf genetische Voraussetzungen. Und so, wie wir auch als Erwachsene noch lernen können, unsere Emotionen besser zu regulieren, können wir auch lernen, empathischer zu sein. Wie leicht uns das gelingt, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Ein wichtiger davon bezieht sich auf unsere Denk- und Emotionsmuster, sogenannte Schemata. Wenn bestimmte Schemata aktiviert sind, können wir schlicht nicht empathisch sein. Es gibt aber auch andere Faktoren.



Wann können wir nicht empathisch sein?

Wie ich im Artikel «Echte Empathie ist ein Geschenk» beschrieben habe, beziehe ich mich bei Empathie immer auf das Sich-liebevoll-suchend-den-Gefühlen-und-Bedürfnissen-einer-anderen-Person-zuwenden, wie es im Konzept der Gewaltfreien Kommunikation verstanden wird.

Es gibt mindestens vier Situationen, in denen wir nicht empathisch sein können:

  1. Wenn unser Fokus auf Analysen, Fakten, moralischen Urteilen oder Handlungsempfehlungen liegt. Per Definition (siehe oben), sind wir in diesem Moment nicht empathisch, da wir uns nicht den Gefühlen und Bedürfnissen der anderen Person zuwenden.

  2. Immer dann, wenn wir wütend, verärgert oder genervt sind sowie in Situationen, in denen wir uns schuldig oder beschämt fühlen. Dies deshalb, weil es sich bei diesen Gefühlen um Sekundärgefühle handelt. Das sind solche, die mit moralisch urteilenden Gedanken einhergehen. Hinter moralischen Urteilen steht immer die Frage steht: Ist das oder ist eine Person richtig/falsch? Ist das oder ist eine Person gut/böse?* Das heisst: Wenn wir Sekundärgefühle erleben, liegt unser Fokus auf den moralischen Urteilen. Damit sind wir wiederum nicht bei den Gefühlen und Bedürfnissen des Gegenübers sondern bei unserem Urteil über das Verhalten oder die Person selber.

  3. Wenn bestimmte Schemata aktiviert sind, können wir auch nicht empathisch sein. Diese Schemata sind in unserer Kindheit als Reaktionen auf herausfordernde Situationen entstanden; in der Regel dann, wenn wichtige Bedürfnisse von uns nicht erfüllt wurden. Wenn diese Schemata aktiviert sind, steuern meist frühkindliche Reaktionsmuster unser Verhalten. In frühkindlichen Mustern können wir ebenfalls nicht empathisch sein, weil Empathie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgebildet ist.

  4. Die vierte Kategorie von Situationen, in denen wir kaum empathisch sein können, sind akute Bedrohungssituationen. Wenn jemand mit einer gezielten Waffe im Laden steht, bin ich in einem emotionalen Ausnahmezustand der nur einen Fokus hat: Mein überleben zu sichern. Es gibt zwar Situationen, in denen Menschen sogar in solchen Situationen empathisch sein konnten und es ihr Leben gerettet hat. Allerdings sind die Chancen für Erfolg mit Empathie in solchen Situationen vermutlich niedrig und wir sind meist besser beraten, uns zu verstecken oder zu fliehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir dann nicht empathisch sein können,

  • wenn wir von unseren Emotionen überflutet werden und wir sie nicht regulieren können,

  • wenn wir keinen Zugang zu unseren Emotionen haben und

  • wenn unser Fokus auf moralischen Urteilen liegt.

Daraus folgt: Wenn wir empathisch sein wollen, müssen wir lernen, unsere Emotionen schneller und / oder besser zu regulieren. Somit beginnt das Lernen und Trainieren von Empathie bei uns selber.


Eine Möglichkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren, ist durch Selbstempathie. Das heisst, ich wende mich liebevoll-suchend meinen Gefühlen und Bedürfnissen zu.

Um erfolgreich lernen und trainieren zu können ist es zudem wichtig, dass ich nicht mit den grössten Herausforderungen starte, sondern mit kleinen Schritten. Dies könnte zum Beispiel so aussehen:

  1. In einer bestimmten Regelmässigkeit nimmst du dir ca. 10 Minuten Zeit um herauszufinden, was für Gefühle du gerade hast und mit welchen Bedürfnissen diese im Zusammenhang stehen. Dabei ist es wichtig, dass du nur echte Gefühlswörter benutzt. Denn es gibt Pseudogefühlswörter (wie zum Beispiel provoziert, manipuliert, belehrt, erniedrigt), die moralische Urteile implizieren und somit den Weg zu unseren Bedürfnissen versperren. Wenn du sicher gehen möchtest, dass du nur echte Gefühlswörter benutzt, kannst du dazu meine Liste mit Gefühlswörtern herunterladen.

  2. Während dieser Übung denkst du also zum Beispiel an das Gespräch, dass du soeben mit einer Arbeitskollegin gehabt hast. Du fragst dich, wie du dich fühlst und liest dabei die Gefühlswörter auf der Liste durch. Wenn du eines oder mehrere Gefühle gefunden hast, schaust du auf die Liste mit den Bedürfnissen und fragst dich: Und worum geht es mir da? Welches Bedürfnis hat sich in dieser Situation für mich erfüllt (wenn du angenehme Gefühle hast) oder nicht erfüllt (wenn du unangenehme Gefühle hast)?

  3. In einem weiteren Schritt, kannst du dich in Vorbereitung auf Situationen und Gespräche fragen: Wenn ich an die kommende Situation X denke, wie fühle ich mich da jetzt? Und um welche Bedürfnisse geht es mir?

  4. In einem nächsten Schritt kannst du beginnen, nach emotional «ein bisschen schwierigen Situationen» dieselbe Übung zu machen. Wenn du es von Anfang an bereits nach grossen Auseinandersetzungen versuchst, ist die Gefahr gross, dass du zu überwältigt bist von all den Gefühlen und vielleicht auch Schemata aktiviert werden.

  5. Nun kannst du beginnen, nachdem du die Übung mit Bezug auf deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse gemacht hast, diese mit Fokus auf die andere Person zu machen. Du fragst dich also beispielsweise: Wie könnte sich meine Arbeitskollegin in dieser Situation gefühlt haben und um welche Bedürfnisse könnte es ihr gegangen sein?

  6. Auch diese Übung kannst du selbstverständlich auch in Vorbereitung auf bestimmte Situationen machen. Wenn dir das gelingt, bin ich zuversichtlich, dass du dann während diesen Situationen empathisch wirst sein können.

  7. Wenn du in Vorbereitung auf Gesprächssituationen deine Gefühle und Bedürfnisse geklärt hast und du dir überlegt hast, wie sich die andere Person fühlen könnte und welche Bedürfnisse sie haben könnte, kannst du dazu übergehen, die andere Person im Gespräch darauf anzusprechen (siehe dazu die Beispiele im Artikel «Echte Empathie ist ein Geschenk»).

Beim Trainieren von Empathie ist es wie beim Erlernen einer neuen Sprache, eines Tanzes oder einer neuen Sportart: Es braucht Zeit, Motivation und Disziplin. Leicht zu bekommen ist diese Kompetenz nicht. Wenn es dir gelingt, die Zeit, Motivation und Disziplin aufzubringen, bin ich mir sicher, dass du es nicht bereuen wirst.

Es gibt auf dem Weg zu mehr Empathie viele Stolpersteine zu überwinden. Wenn du dabei Unterstützung brauchst, helfe ich dir gerne im Rahmen eines Coachings. Wenn du diesen Weg mit deinem Team oder deiner Institution gehen möchtest, eignet sich dafür vielleicht eine Team-Weiterbildung oder ein Teamcoaching.

 

*Beispiele von Sekundärgefühlen und möglicherweise damit verbundenen moralischen Urteilen: Wenn die Handlung einer anderen Person bei mir Ärger ausgelöst hat, werden bewusste oder unbewusste Gedanken im Spiel sein wie zum Beispiel: «Das tut man einfach nicht!» oder «Der ist egoistisch!» oder «Die ist faul!». Selbstverständlich kann sich der Ärger auch gegen mich richten. Dann richten sich diese Aussagen in inneren Stimmen gegen mich.

Wenn hingegen Handlungen von mir zu Scham- und Schuldgefühlen führen, dann geht das einher mit moralischen Urteilen über mich selber. Ich sage mir vielleicht: «Und das passiert mir in meinem Alter! Ich kann das immer noch nicht!» oder «Ich bin so peinlich. Wie sehe ich nur aus und was werden die anderen über mich denken?» oder «Wegen mir müssen nun andere leiden. Wenn ich nur nicht gewesen wäre, …»

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