Wie findest du die Entscheidungsprozesse in Teams und Gruppen, die du kennst? Sind das meist kreativ-kooperative Prozesse mit Lösungen, an denen die meisten Freude haben?
Ich finde, dass Entscheidungen mit Mehrheitsabstimmung oft viel Unzufriedenheit schaffen. Und so läuft das manchmal ab:
Die Gruppe stimmt über mehrere Lösungsvorschläge ab.
Obwohl das Resultat am Schluss klar ist (= eine Lösung hat am meisten Stimmen erhalten), sind viele nicht zufrieden mit dem Ausgang.
Obwohl alle mit dem Abstimmungsverfahren grundsätzlich einverstanden sind, gibt es in der Umsetzung Widerstand gegen die Lösung, die am meisten Stimmen bekommen hat.
Das kommt nicht von ungefähr. Mehrheitsentscheide in Gruppen bergen grosse Risiken:
Der Widerstand der «Verlierer» kann so gross sein, dass die Lösungen am Schluss nicht umsetzbar sind oder nicht wirken wie erhofft.
Wie gross der Widerstand der einzelnen «Verlierer» ist, kann aufgrund des Abstimmungsergebnisses nicht gesagt werden.
Stehen mehrere Möglichkeiten zur Auswahl, kann sich eine Minderheit durchsetzen, wenn der Rest der Gruppe für unterschiedliche Möglichkeiten stimmt.
Wer Lösungsvorschläge bringt, ist lediglich daran interessiert, eine Mehrheit für den eigenen Lösungsvorschlag zu generieren, nicht jedoch, zur Optimierung von anderen Lösungsvorschlägen beizutragen. Das führt zu weniger passenden Lösungsvorschlägen.
Eine sehr (!) gute Alternative
Es gibt eine Alternative zu Mehrheitsabstimmungen und ich habe damit bis jetzt immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Methode heisst «Systemisches Konsensieren» und wurde von Georg Paulus, Siegfried Schrott und Erich Visotschnig entwickelt. Bei dieser Methode wird nicht die Lösung mit der grössten Zustimmung gesucht, sondern die Lösung mit dem geringsten Widerstand und somit mit der höchsten Akzeptanz. Das Ziel ist es, rasch tragfähige Entscheide zu fällen durch das Finden des grössten gemeinsamen Nenners.
Veranschaulichung an einem Beispiel
Stell dir vor, eine Institution möchte eine neue Software anschaffen. Nun liegen verschiedene Vorschläge vor, die in einer Mehrheitsabstimmung folgende Anzahl Stimmen erhalten:
Software A | 4 Stimmen |
Software B | 6 Stimmen |
Software C | 3 Stimmen |
Software D | 8 Stimmen |
Software E | 9 Stimmen |
Total | 30 Stimmen |
Da zwei Vorschläge am meisten Stimmen erhalten haben und das Resultat nicht so klar ist, entscheidet sich die Führungsperson, nochmals zwischen D und E abzustimmen. Das Schlussresultat sieht wie folgt aus:
Software D | 12 |
Software E | 10 |
Enthaltungen | 8 |
Total | 30 |
Die Entscheidung fällt: Es wird die Softwarelösung angeschafft, welche 12 Stimmen erhalten hat. Aber:
Nicht einmal die Hälfte der Mitarbeitenden hat für diese Software gestimmt. Oder anders formuliert, die überwiegende Mehrheit der Mitarbeitenden hat nicht für die Software gestimmt, welche nun angeschafft wird.
Acht Mitarbeitende (fast ein Drittel) sind so unzufrieden, dass sie weder die Software D noch E wollen.
Vorgehen mit dem Systemischen Konsensieren
Wie würde die Abstimmung mit dem systemischen Konsensieren ausgehen?
Die Mitarbeitenden bewerten ihren Widerstand gegen jede Lösung auf einer Skala von 0 - 10. Dabei bedeutet 0 = überhaupt kein Widerstand und 10 = totale Ablehnung. Sie tragen die Punkte auf einem Zettel oder direkt online ein. Zusätzlich zu den verschiedenen Softwarelösungen kommt die Null-Lösung hinzu: Man schafft aktuell keine neue Software an und arbeitet so weiter wie bisher. Die Widerstandspunkte werden in einer Tabelle eingetragen, dann der durchschnittliche Wert pro Lösung berechnet und der Rang daraus abgeleitet: Je weniger Widerstand, desto niedriger der Rang.
In diesem Beispiel zeigt sich nun, dass der Widerstand für die Lösung A am niedrigsten ist. Anschliessend kommt Lösung B und dann bereits die Null-Lösung. Somit sind die Lösungen C, D und E schlechter, als wenn man gar nichts machen würde.
Nebst der Abstimmung bei verschiedenen Lösungsvorschlägen beschreiben Paulus, Schrott und Visotschnig auch ein Vorgehen, wie Lösungen mit dem systemischen Konsensieren von Grund auf in der Gruppe erarbeitet werden können. Wenn du das für dein Team ausprobieren möchtest, kannst du hier kostenlos den Leitfaden herunterladen, den ich dazu erstellt habe.
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Literatur: Paulus, G., Schrott, S. und Visotschnig, E. (2009). Systemisches konsensieren: der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg. Danke-Verlag.
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